Leseprobe aus “Wohin dein Weg auch führt” – Roman
Gemächlich zuckelte der Bus die dicht befahrene Uferstraße entlang. Inzwischen war Spätsommer und noch immer verstopften jede Menge Urlauber die Wege rund um den See. Ab und zu war ungeduldiges Hupen zu hören.
Mit stoischer Ruhe saß der Busfahrer hinter dem großen Lenkrad, das bei jeder Bewegung seinen drallen Bauch streifte. Die Ärmel seines blauen Hemdes hatte er bis hinauf über die Ellenbogen gewickelt und ließ seine dicht behaarten Unterarme Frischluft schnuppern. Aus dem Funkgerät war die quäkende Stimme einer Frau zu hören, im Radio sang Heino von der schwarz-braunen Haselnuss. Der Mann hatte die Lippen gespitzt, pfiff leise die Melodie mit und klopfte mit einer Hand taktvoll auf das Lenkrad. Sein Ehering erzeugte dabei ein verhaltenes Klack-Klack.
In der Sitzbank schräg hinter ihm steckten zwei junge Mädchen die Köpfe zusammen, tuschelten und kicherten. Auf dem Oberarm der Blondine schwitzte ein kleiner, fauchender Drache vor sich hin, abschätzig beäugt von einem hageren, alten Herrn mit schütterem, grauen Haar, der trotz der sommerlichen Temperaturen korrekt gekleidet aufrecht auf dem Platz saß. Selbst der Knoten seiner altmodischen Krawatte saß fest zwischen den beiden Spitzen des weißen Hemdkragens. Ab und zu tupfte er sich mit einem großen Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Der Duft von schwächelndem Old Spice umhüllte ihn, wie eine unsichtbare Wolke.
Ulrich beobachtet die wenigen Leute um sich herum, beneidete den Mann hinter dem Lenkrad um dessen Gelassenheit.
An der Haltestelle nahe dem Ortsrand stieg er beklommen aus dem Bus. Ohne sich umzusehen, lief er mit großen Schritten Richtung Ortsende; wollte die Häuserzeilen so schnell wie möglich hinter sich lassen. Er hatte das Gefühl, dass ihm hinter blank geputzten Scheiben und blütenweißen Gardinen manches Augenpaar folgte. (…)
Je näher er der Rosenhöhe kam, desto leichter wurde ihm ums Herz. Tasso kam ihm freudig bellend entgegengerannt, sprang an ihm hoch und begrüßte ihn mit einem feuchten Stupser auf die Nase. Liebevoll kraulte er den Hund am Hals und passierte mit ihm das große Hoftor. Tilda Mayerhofer saß auf der Bank neben der Haustür und stopfte das Loch in einer dicken Wollsocke. Mit wenigen Schritten war Ulrich bei ihr, beugte sich hinab und umarmte sie.
“Sie haben mir gefehlt. Sie und das alles hier”, sagte er und setzte sich zu ihr.