Eine weitere Frage, die mir oft gestellt wird, lautet: Wie kommen Sie auf all die Namen?
Die Benennung der Akteure gehört zum Anfangsstadium eines neuen Projektes und ist nicht zu unterschätzen. Ich studiere zum Beispiel immer aufmerksam den Abspann von Filmen und notiere mir die Namen, die mich ansprechen. So entsteht mit der Zeit eine ansehnliche Sammlung, auf die man bei Bedarf zurückgreifen kann. Bei ausländischen Namen benutze ich die Suchmaschinen. Und schließlich gibt es noch das gute alte Telefonbuch. In der Regel stelle ich eine Auswahl von ca. sechs Namen für die Hauptfiguren zusammen, die ich immer wieder laut ausspreche. Dabei achte ich auf mein Gefühl. Schnell schrumpft die Auswahl und bald stehen auf dem Blatt Papier nur noch DIE Namen.
Dann ist es endlich so weit. Die Story ist im Kopf – nahezu komplett. Der Plot steht, Schauplätze sind ausgemacht. Jetzt fehlt „nur“ noch die Umsetzung auf Papier; das Aneinanderreihen klar verständlicher Sätze zu einer Geschichte, der alle gespannt folgen.
Während sich meine Gehirnzellen langsam warmlaufen, meine Finger aufgeregt über den Tasten schweben oder ich versuche, heraus zu finden, nach welcher Frucht mein Stift schmeckt, passiert oft Seltsames. Ich reibe mich an Namen verschiedener Protagonisten, die vor Kurzem für mich noch plausibel waren. Mal ehrlich, jeder von uns hat im Kopf eine Reihe Namen, die er mit sympathischen oder unsympathischen Menschen in Zusammenhang bringt. Und nach diesem Schema benenne auch ich meine Figuren.
Bei meinem Roman Schmaler Grat geriet ich ins Stocken, weil das Bild meiner Figur Kommissar Marenholz irgendwann verschwamm, nicht mehr passte. Wie kam’s? Marenholz entwickelte sich schnell zu einem Mann mit rauer Schale, der gerne mal los poltert und es mit den Vorschriften nicht so genau nimmt. Aber konnte dieser Mann Jonas heißen? Wohl kaum, stellte ich nach gut 100 Seiten schweren Herzens fest. Ich hatte mich verrannt. Ärgerlich. Aber einen Namen zu ändern – wenn man nach längerem Grübeln einen passenden gefunden hat – ist kein großer Akt. Die Funktion ersetzen durch und schon steht überall, wie durch Zauberhand, der neue Name. Ich liebe die Technik, die das ermöglicht. Jetzt hieß mein Kommissar Thomas Marenholz. Ein bodenständiger Name, mit dem ich ihn prompt Dinge tun lassen konnte, die man einem Jonas nicht zutrauen würde und die folglich unglaubwürdig gewesen wären.
Der Gute schlummert nun wieder in meinem Karteikasten und muss darauf hoffen, dass mir irgendwann eine Geschichte einfällt, in der der Protagonist nur einen Namen tragen kann: Jonas.
chrilie