Bisher dachte ich immer, am kreativsten kann ich in meinem Zimmer sein. Das ist mein Refugium. Hier ist all das um mich, was mir etwas bedeutet: Die Bilder meiner Lieben, meine Lieblingsbücher und CDs, Buddha und Dalai Lama … Und zum Nachdenken schaue ich aus dem Fenster und sehe meinen Garten im Wandel der Zeit: schneebedeckt, mit ersten grünen Knospen, prallen Blüten, atemberaubender Herbstfärbung.
Dann durchlebte – oder sollte ich besser sagen, durchlitt – ich in diesem Sommer ein tiefes Tal der Blockade und Frustration. An den oben genannten Bedingungen hatte sich nichts geändert. Trotzdem war mein Kopf wie leer gefegt und ohne Fantasie. Jede Störung, die ich früher einfach „weg gedrückt“ habe, war nun ein großes Ding für mich. Ich verzettelte mich, ging falsche Wege, musste umkehren. Kurz und gut: Nichts ging voran.
Nun ist es nicht so, dass ich diesen Zustand nicht schon früher erlebt hätte. Aber so hartnäckig, wie in diesem Sommer, hatte er sich noch nicht bei mir festgesetzt. Ich fing an, alle möglichen und unmöglichen Gründe her zu nehmen. Eine Lösung gefunden habe ich dabei leider nicht.
Anfang Oktober wechselte ich für fünf Tage den Standort. Was mir da widerfuhr, war wie eine Erlösung für mich. An diesem stillen, abgeschiedenen Ort, in dieser geradezu meditativen Umgebung, sprudelten plötzlich die Sätze; mein Kopf quoll schier über. Ich schrieb Stunde um Stunde. Es taten sich Handlungsstränge auf, die mir seither verborgen geblieben waren und die meine Geschichte jetzt voranbrachten. Drei komplette Kapitel sind entstanden, bestehende Passagen habe ich umgeschrieben, zu ihrem Vorteil geändert. Alles passte. Auch, weil die Menschen, die um mich waren, mich gewähren ließen. Danke dafür.
Es war eine neue Erfahrung für mich. Natürlich habe ich „Schreiben im Café“ von Natalie Goldberg gelesen und die vielen anderen Ratgeber, in denen steht, man solle seine Schreibseele füttern; Museen besuchen, Spaziergänge in die Natur unternehmen, belebte Plätze aufsuchen, um Menschen zu beobachten, beim Schreiben Musik hören. Kurzum, Nahrung für das Gehirn aufnehmen. Ehrlich, ich habe das immer belächelt und mit „nichts für mich“ abgetan. Ich brauche zum Schreiben Ruhe, war meine feste Überzeugung. Musik hören? Vollkommen abwegig. Jetzt wurde ich eines Besseren belehrt. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, Kopfhörer auf und los. Und habe dabei die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Songs einen gewaltigen Einfluss auf mein Befinden und somit auf das, was ich schreibe, haben. Ich setzte die beim Hören entstehenden Gefühle in Texte um. Wenn ich später die so entstandenen Passagen noch einmal durchlas, hörte ich parallel dazu in meinem Kopf das jeweilige Lied. Lied, Gefühl und Text waren eine Symbiose eingegangen.
Mittlerweile bin ich seit einigen Tagen wieder zu Hause in meiner gewohnten Umgebung, mit dem gewohnten Ausblick. Ich schreibe, aber die Produktivität dieser bemerkenswerten Woche habe ich (noch) nicht wieder erreicht. Allerdings ist meine Zuversicht zurück gekehrt.
chrilie