Um die Wartezeit auf das Buch zu verkürzen, hier eine erste Leseprobe …
Prolog
Die erste Nacht in Freiheit, doch Thomas konnte sie nicht genießen. Seit ihm sein bisheriges Leben um die Ohren geflogen war, fühlte er sich wie in einer Kugel gefangen, die, ohne dass er Einfluss auf ihren Kurs hätte nehmen können, durch die Zeit raste.
Das Gefängnis hatte er hinter sich; der entsetzliche Vorwurf, für Volkertz′ Tod verantwortlich zu sein, war vom Tisch. Aber als Paul Reimers ihn gestern in Weiterstadt abgeholt und nach Frankfurt zurückgebracht hatte, verspürte er keine Freude. Erleichterung ja, aber Freude? Es gab nichts mehr, auf das er sich hätte freuen können. Sein Traum von einem gemeinsamen Leben mit Nora, vor wenigen Wochen noch wundervolle Realität, war geplatzt. Nora hatte ihn verlassen. Kompromisslos, wie sie schon immer war, hatte sie einen Schlussstrich gezogen. Unter ihn, unter ihre gemeinsame Zukunft. Er hatte sich verzockt. Hatte sich eingeredet, er könne dem Schicksal ein Schnippchen schlagen. Weit gefehlt.
Viele Fragen geisterten durch seine Gedanken. Warum hatte Nora ihm nichts von dem Kind erzählt? Wollte sie ihn schonen, ihn nicht zusätzlich belasten? Hätte dieses Wissen etwas an seinen Entscheidungen geändert? Hätte er Pavlovsky, wie von ihm verlangt, davonkommen lassen, um sich und Nora in Sicherheit zu bringen?
Quälende Fragen und eine sinnlose Suche nach Antworten. Es gab kein Zurück; keine zweite Chance, falsche Entscheidungen zu korrigieren.
Er drehte sich zur Seite und sah auf den leeren Platz neben sich. Nur ein zarter Hauch von Noras Duft war ihm geblieben. Seit er zurück in seiner Wohnung war, hatte er ihn in der Nase. Bald würde auch der sich verflüchtigt haben. Dann würde es nur noch diese dumpfe Sehnsucht in seiner Brust geben. Er blickte auf den Wecker neben seinem Kopf. Beobachtete eine Weile, wie die roten Ziffern des Sekundenzählers abtauchten, um im Meer der Unendlichkeit zu versinken. Klack, klack, kaum hörbar; Wimpernschlag für Wimpernschlag. Unaufhaltsam schritt die Zeit voran, drehte sich die Welt um ihre eigene Achse. Atemlos. Schlaflos.
In drei Stunden musste er seinem Vorgesetzten Rede und Antwort stehen. Kein leichter Weg, der ihm da bevor stand. Von Paul wusste er, wie enttäuscht Doktor Hartwig über die Aktionen seines Mitarbeiters gewesen war.
Was hatte er mit ihm zu besprechen?
Wenn das Leben Schatten wirft – Kriminalroman
Christa Lieb ©