Fundstück
Für wenige Minuten hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Unaufhörlich war Regen niedergeprasselt, hatte den Staub, der sich in den vergangenen Tagen wie ein dünner Schleier auf alles gelegt hatte, weggewischt. Endlich war die feuchte Schwüle von heftigen Windböen verdrängt worden.
Nachdem sich die bedrohlich wirkenden grau-blauen Gewitterwolken weiter vorwärts über das Land geschoben hatten und der Donner nur noch verhalten zu hören war, ging ich vor die Tür und sah mich um. Abgerissene Blätter und Zweige lagen auf Straße und Gehweg; noch immer verschwand Regenwasser gurgelnd durch die Öffnungen des Kanaldeckels, um im Verborgenen seinen Weg zu suchen.
Eine kleine, silbrig glänzende Münze, die im Rinnstein lag, erregte meine Aufmerksamkeit. Vermutlich hatten die Wassermassen sie angeschwemmt.
Wo sie wohl herkommt?, fragte ich mich. Wurde sie achtlos weg geworfen oder ging sie in der Hektik des Alltags verloren? Wollte ein Mann damit Zigaretten kaufen, ein Kind ein Eis oder ein Comic-Heft? Sollte mit ihr ein wichtiges Telefonat geführt werden? War ihr unbemerkter Fall auf die Erde ein entscheidender Verlust für den Besitzer oder war sie nur Eine unter Vielen und es daher nicht wert, sich danach zu bücken? Das blanke, runde Etwas machte mich neugierig.
Interessiert nahm ich die Münze hoch, betrachtete sie genauer. Sie musste weit gereist sein, ehe sie in den Rinnstein vor meiner Tür gelangte. Nass und kühl lag sie in meiner Hand und löste eine Flut schöner Gefühle und Gedanken aus. Ein Hauch von Ferne und Exotik machte sich breit. Jetzt gemeinsam mit der Münze in das ferne, fremde Land reisen. An einem endlosen Sandstrand unter Palmen ausruhen und den immer wiederkehrenden Wellen zusehen. Das wäre schön. Ich schloss die Augen und schwelgte in den Bildern, die vor meinem inneren Auge vorüber zogen. Ich roch das Meer, hörte das Tosen der Brandung, spürte Sonnenwärme und die Feuchte der Gischt auf meiner Haut.
Ein dicker Regentropfen traf meine Nase und riss mich aus meinen Träumen.
chrilie ©