Auf und davon (Teil 1)
»Kennst du den Film ›Und ewig grüßt das Murmeltier‹?«, fragte Hannes Diesel seinen Kumpel Karl-Heinz.
Der nickte und sah ihn abwartend an. Er verstand die Frage nicht; wusste nicht genau, worauf Hannes hinaus wollte.
»Genau so verläuft mein Leben. Jeden Tag der gleiche Ablauf. Immer pünktlich auf die Minute, nie krank.«
»Sei doch froh«, meinte Karl-Heinz. »Mein Nachbar würde sicher gerne mit dir tauschen. Den haben sie schon vor drei Jahren entsorgt. Zu alt. Mit fünfzig!«
Hannes ging auf die Bemerkung mit keinem Wort ein. Was interessierte ihn der Nachbar von Karl-Heinz? Hier ging es um sein Leben, in dem er sich schon lange wie ein Hamster im Laufrad fühlte. Diesel, Busfahrer. Schon der Name musste für manchen derben Scherz herhalten. Ob sein Rußfilter in Ordnung sei, wurde er oft von einem der vorlauten Teenies gefragt. Sein Rußfilter, wohlgemerkt. Nicht etwa der des Busses.
Immer öfter träumte er davon, sein Akkordeon zu schnappen, in den Bus zu steigen und einfach an den schreienden Schulkindern vorbeizufahren. Immer weiter, immer vorwärts. Sich nicht um rote Ampeln und Dienstvorschriften zu scheren. Dahin, wo er endlich Hannes Diesel sein konnte und kein Hampelmann, den andere nach ihrer Pfeife tanzen ließen.
Altötting oder Wien kam ihm in den Sinn. Zu nah! Er wurde mutiger in seinen Überlegungen. Italien. Bis hinunter in die Stiefelspitze. Das wär’s. Und dann mit der Fähre hinüber nach Afrika. Ab in die Wüste; auf Nimmerwiedersehen. Die Gedanken ließen ihn nicht mehr los.
Italien … Afrika …
»Hast du das gesehen?«, schimpfte Karl-Heinz.
»Mmm … was?«
»Na, das Foul. Ein klarer Elfmeter. Und was macht der Schwarzkittel? Lässt weiter spielen … der blinde Fuchs!«
Nein. Hannes hatte nichts gesehen. Selbst der geliebte Fußball konnte heute nicht seine Aufmerksamkeit gewinnen. Er sah auf die Mattscheibe, wo Menschen wild gestikulierten. Sah all die bunten Fahnen und dachte: Ob mein Bus es über die Sandpisten schaffen würde?
»Was ist heute bloß los mit dir, Hannes? Interessierst dich noch nicht mal mehr dafür, dass unser Verein gerade beschissen wurde.«
»Was sagst du?«, brummelte Hannes.
»Ach nichts. Träum weiter. Reg ich mich halt alleine auf.« Karl-Heinz stand auf, zog seine Jacke an und warf noch einen besorgten Blick auf seinen Kumpel, ehe er sich enttäuscht auf den Heimweg machte.
Fortsetzung folgt …
Christa Lieb ©