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Christa Lieb – Autorin

Lesefrüchtchen

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Leseprobe »Wolken über Heather’s Point«

CoverVor Olivia lag, eingebettet in eine enge Bucht, der Hafen von Portofino. Terrakotta, Ocker, Umbra in allen erdenklichen Nuancen dominierten das kleine Städtchen. Die malerischen schmalen Häuser, die förmlich aneinanderklebten und nur von engen, steilen Gassen und Treppen getrennt wurden, waren mit einer bunten, schier überbordenden Blumenvielfalt geschmückt; dunkelbraune Fensterläden schützten die Bewohner vor der Sommerhitze des frühen Nachmittags. Der Turm einer alten Kirche überragte sie und in den Hügeln des Hinterlandes thronte ein Kastell und beherrschte mit seinen wuchtigen Außenmauern die Kulisse. Auf dem blaugrünen Wasser vor ihr schaukelten Boote aller Größen und Preisklassen; mehrfach überstrichene, alte Fischerboote teilten sich den Platz mit schnittigen Jachten. So ganz hatte die High Society Portofino wohl noch nicht vergessen.

  Sie saß unter einer der flaschengrünen Markisen, aß zufrieden ihre gegrillte Dorade und gönnte sich dazu ein Glas kühlen Pinot Grigio. Um sie herum pulsierte das Leben; laut und bunt. Sie war weit gefahren, um hier an diesem schönen Flecken Erde etwas Ruhe zu finden. Über zwei Monate war es her, dass sie Jonathan Franklin getroffen und sich in ihn verliebt hatte. Monate voller Sehnsucht. Ihn zu vergessen war ihr noch immer nicht gelungen. Sie war zufrieden gewesen mit ihrem wohlbehüteten Leben, bis dieser Mister Franklin ihren Weg kreuzte. Immer wieder fragte sie sich, wie sie in eine derartige Situation geraten konnte? Sie hätte doch wissen müssen, dass sie nicht der Typ für eine solche Affäre war.

  Sie klemmte die Geldscheine für Essen und Trinken unter ihr Weinglas, stand auf, schlenderte über die kleine Piazza und sah eine Weile dem Durcheinander und geräuschvollen Ende eines Markttages zu. Unter lautem Gelächter und Zurufen wurden Buden abgebaut, große Schirme zugeklappt und übrig gebliebene Ware in wackelige Fahrzeuge verladen. Ein intensiver Duft frischer Kräuter lag in der Luft. Noch jetzt, mitten im Chaos, versuchten einige geschäftstüchtige Händler Obst und Gemüse, Gürtel, Socken und Hemden loszuwerden. Lachend schüttelte Olivia immer wieder den Kopf.

  Am Ende des Platzes, zwischen prallen, leuchtend roten Tomaten zur Linken und einer Auslage mit glitzerndem Tand zur Rechten, saß im Schatten der Arkaden eine alte Frau mit tiefen Furchen im Gesicht und sah sie aufmerksam an. »Komm her, mein Täubchen«, lockte sie und wedelte mit ihrer hageren Hand durch die Luft. Neugierig blieb Olivia vor ihr stehen. Als sie in die moosgrünen Augen der Alten schaute, spürte sie ein rätselhaftes Gefühl im Magen. Ihr kam es vor, als könne die Frau in ihr Innerstes sehen. »Setz dich«, forderte die seltsame Fremde sie auf und deutete auf eine mit einem verschlissenen Teppich behängte Kiste, »und gib mir deine linke Hand.«

  Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Warum hatte sie sich bloß darauf eingelassen? Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Frau griff nach Olivias Hand, drehte sie um und betrachtete eine Weile schweigend die Handfläche. Schließlich fuhr sie mit ihrem krummen Zeigefinger die Linien entlang und murmelte dabei unverständliche Worte. Augenblicklich begann Olivias Hand zu kribbeln, als würde ein Ameisenvolk darauf spazieren gehen, und der merkwürdige, warme Strom, der wenig später durch ihren Körper floss, sammelte sich in ihrem Bauch zu einer Hitze, die sie benommen machte. Verwirrt und erschrocken versuchte Olivia ihre Hand wegzuziehen, doch die Alte hielt sie fest und sah sie mit klaren, grünen Augen an. »Schau«, flüsterte sie geheimnisvoll, »diese Linie führt zu deinem Herzen. Dort wartet jemand auf dich … Und die hier«, fuhr sie nach einem Moment des Schweigens fort, »die hier führt dich durch eine lange Dunkelheit. Sei achtsam, mein Kind.«

  Die Windspiele über Olivias Kopf klimperten leise. Der Lärm um sie herum klang plötzlich eigenartig gedämpft. Noch immer musterte die Frau sie mit wissendem Blick. Olivia entriss ihr die Hand, sprang auf und lief durch eine der engen Gassen davon. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.

(…)

Christa Lieb ©

Als eBook bei XinXii.com u. v. a. Onlineshops

Autor: Christa Lieb

 

Ein Kommentar

  1. Es ist heiß heute. Rita liegt am Swimmingpool und liest ein Buch. Dem Kindle sei dank.
    Und ich gehe jetzt einen Kaffee trinken.
    Gruß nach Richen

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