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Christa Lieb – Autorin

»Lesefrüchtchen« – August

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»Ein Sommer in Blue Bay« – Leseprobe

(…) Eigenartige Person. Ich denke, ich werde sie im Auge behalten. Die innere Stimme, die ihm erklärte, weder die Frau noch ihr Verhalten ginge ihn etwas an, wischte Gordon Cooper mit einer energischen Geste beiseite. Er war zu lange Polizist gewesen, um nicht zu erkennen, dass die Frau, die jetzt in dem Strandhaus in seiner Nachbarschaft wohnte, etwas zu verbergen hatte. Seine Neugier war geweckt.

Zufrieden lenkte er sein Auto über den knirschenden Kies vor seinem Haus und stieg aus. Endlich würde etwas Bewegung in seinen Alltag kommen. Zwar gäbe es Anderes zu tun, gestand er sich ein und ließ seinen Blick über das kniehoch wuchernde Unkraut und die Hausfassade mit der an vielen Stellen abblätternden Farbe schweifen. Aber diese Tätigkeiten brachten nicht den gleichen Kick, den er beim Gedanken an Linda Sinclairs mögliches Geheimnis verspürte. Für die lästigen Pflichten ließ sich doch sicher ein netter Mann in Blue Bay finden, der sich die Finger nach ein paar zusätzlichen Dollar schlecken würde. Seine Zeit, davon war er überzeugt, war zu kostbar, um sie mit solchen Lappalien zu verschwenden.

Er öffnete die Haustür, ging schnurstracks zum Kühlschrank, der in seiner Wuchtigkeit die Küchenzeile dominierte, griff nach einer Bierdose und öffnete sie mit geübtem Handgriff. Schaum quoll durch die kleine Öffnung, floss über seine Hand und hinterließ dort eine klebrige Spur. Nach einem deftigen Fluch, presste er die Dose an seine Lippen und ließ die kühle Flüssigkeit in einem Zug durch die Kehle rinnen.

Früher wäre er nicht auf die Idee gekommen, sich um diese Tageszeit ein Bier zu gönnen. Doch seit seine Frau die Koffer gepackt und ihn sich selbst überlassen hatte, lebte er ausschließlich nach seinem Gusto. Nach Wochen quälender Selbstzweifel hatte er sich dazu durchgerungen, seine Verletztheit gegen eine gehörige Portion Gelassenheit zu tauschen. So lebte es sich einfacher, war inzwischen seine Überzeugung.

Ein gezielter Wurf beförderte das Corpus Delicti in den Abfalleimer neben der Tür. Mit einem weiteren Bier in der Hand ging er hinüber ins Wohnzimmer, öffnete dort die breite Glastür und trat ins Freie.

Der Pazifik war in Bewegung. Weit draußen musste ein Sturm toben. Hoffentlich brachte der keine unangenehmen Überraschungen mit sich. Bei jedem Frühjahrs- und Herbststurm nahm sich der Ozean ein Stück Land. Manche der Häuser standen schon bedenklich nah am nassen Element. Ihn und sein Haus trennten zum Glück noch beruhigende Meter vom Ufer.

Gut, dass bei mir alles so gut bewachsen ist, dachte Gordon Cooper mit Galgenhumor und prostete dem Strandhafer und den zahlreichen wilden Hecken zu, die sich dank seiner Nachlässigkeit inzwischen prächtig entwickelt hatten. (…)

 

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Christa Lieb ©

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Autor: Christa Lieb

 

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