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Christa Lieb – Autorin

Lesefrüchtchen

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Zwischen den Zeiten Fantastische Geschichte

Zwischen den Zeiten

Foto chrilie

Draußen war eine düstere Novembernacht angebrochen und ich lag allein in diesem fremden Haus. Meine Enttäuschung darüber, dass Robert unser lange geplantes verlängertes Wochenende platzen ließ, war noch immer nicht vergangen und ich fragte mich, ob es eine gute Idee war, im Nebelmonat November allein in diese gottverlassene Gegend zu fahren.

Das alte Haus ächzte und knarrte. Meinem Hund schien das Ganze auch nicht geheuer zu sein. Unruhig lief er hin und her, einige Male bellte er laut, ehe er gegen Mitternacht endlich Ruhe gab. Ich wälzte mich im Bett hin und her, lauschte den fremden Geräuschen und versuchte meine Beklemmung in den Griff zu kriegen. Als ich endlich wegdämmerte, nahm ich wahr, dass es plötzlich ganz hell im Zimmer geworden war. Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah entgeistert auf die Szenerie vor mir.  Auf dem Fußboden, in der Mitte des Zimmers, lag ein Mann und starrte aus leblosen Augen zu mir herüber. Um seinen Kopf war ein blutgetränktes Tuch geschlungen. Bei seinem Anblick spürte ich grenzenlose Trauer und Schmerz. Gefühle, die mich erschreckten. Obwohl ich den Mann niemals zuvor gesehen hatte, war er mir seltsam vertraut. Der süßliche Geruch des Blutes verursachte mir Übelkeit.

Was geschah hier? Wie kam der tote Mann in dieses Haus und wer war er?

Verwirrt sah ich mich in dem Zimmer um. Nichts erinnerte an den Raum, den ich vor einigen Stunden bezogen hatte. Alles war fremd und seltsam alt. Die moderne Lampe, die noch vor Kurzem von der Decke baumelte, ebenso verschwunden, wie alle anderen Gerätschaften. In der Ecke nahm ich eine verrußte Feuerstelle wahr, auf dem grob gezimmerten Esstisch brannten flackernde Kerzen. Unter der Decke hingen Kräuterbüschel, die herbe Gerüche verströmten und unheimliche Schattenbilder an die Wände warfen; grinsende Fratzen, deren Augenpaare mich zu beobachten schienen. Noch während ich versuchte das Rätselhafte zu begreifen, löste sich der Körper zu meinem Entsetzen in Nichts auf. Meine Nackenhaare sträubten sich und Gänsehaut überzog meinen Körper.

Unvermittelt traktierten Fäuste die schwere Eingangstür. Stimmen wurden laut. Jemand verlangte energisch Einlass. Ich hatte nur einen Gedanken: Flucht! Mit einem Satz war ich aus dem Bett, bemerkte, dass Blut an meinen Händen klebte und ich eigenartige Kleider trug, die mir nicht gehörten.

Das Trommeln an der Tür war ohrenbetäubend; Holz zerbarst. Entschlossen öffnete ich die kleine Hintertür und rannte davon. Völlig außer Atem erreichte ich den Waldrand, blieb einen Moment stehen und lauschte angestrengt in die Nacht. Aufgeregte Stimmen und der diffuse Schein vieler Lichter kamen näher. Ich musste weiter. Und obwohl ich niemals zuvor in dieser Gegend war, kam mir der Weg bekannt vor und instinktiv wusste ich, wohin er führt. Ich raffte den Stoff des weiten Rockes zusammen und rannte zwischen den Bäumen davon; stolperte über Wurzel, Äste peitschten über mein Gesicht, verfingen sich in meinen Haaren. Keuchend kam der Atem über meine Lippen und mein Herz raste.

Endlich fand ich den Ort, den ich suchte. Ein kleiner runder Platz, umsäumt von großen Bäumen, lag vor mir. Im fahlen Licht des Mondes erkannte ich eine Säule mit in Stein gemeißelten Rosenranken, die in der Mitte empor ragte. Ein betörender Duft lag in der Luft. Ich ging davor in die Knie und fuhr zärtlich mit dem Finger über das Ornament. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz und zuckte zurück. Aus meiner Fingerkuppe quoll ein großer Bluttropfen. Ich benetzte damit meine Lippen und fand Frieden.

Die Meute kam näher. „Schnappt euch die Hexe!“, schrien die aufgebrachten Menschen. Zu meiner Überraschung war ich ganz ruhig. Schicksal ergeben legte ich mich zu Füßen der Säule ins Gras und wartete darauf, dass sie mich finden. Zweige knackten, der Schein der Fackeln fiel über mich. Ein riesiger, schwarzer Hund, den sie an einer Kette mit sich führten, baute sich vor mir auf, fletschte die Zähne und sah mich mit glühenden Augen an. Sein fauliger Atem stieg mir in die Nase. Unvermittelt begann er leise zu winseln und verkroch sich zitternd zwischen den Beinen der Männer. Hände griffen grob nach mir und zerrten mich auf die Füße. Meine Tränen hinterließen helle Spuren auf den Wangen, tropften auf die Erde und blieben – Tautropfen gleich – an den Grashalmen hängen. Hasserfüllte Gesichter kamen mir ganz nah. Ich roch den Tod.

Ein brennend heißer Strom durchzog mich und dann glitt ich federleicht aus diesem erschöpften Körper, schwebte hoch über dem Geschehen, spürte weder Furcht noch Schmerz. Ich sah zu, wie sie der Frau, die ich war, die Hände auf den Rücken banden und zu einem der großen Bäume am Rande des Platzes führten. Das laute Geschrei wich einer erwartungsvollen gespenstigen Ruhe. Sie warfen ein Ende des Seiles über einen dicken Ast, legten ihr die Schlinge um den Hals und zogen an. Und dann durchbrach ein entsetzter Schrei aus vielen Kehlen die Stille. Am Ast baumelte nur noch eine leere Schlaufe. In Panik rannten die Menschen davon.

Krächzend flog ein Rabe vom Waldboden auf und ließ sich in der Baumkrone nieder. Sein Gefieder hatte unterhalb der lebhaften Augen weiße Flecken, gerade so, als hätten Tränen die schwarze Farbe weggespült. Der Vogel und ich sahen uns an. Ich fühlte Freude und Erleichterung. Er ließ zu, dass ich ihm zärtlich über das glänzende Federkleid strich, ehe er einen lauten Ruf ausstieß und davon flog. Voller Bedauern sah ich ihm hinterher.

Mein Körper gewann wieder an Gewicht. Die berauschende Leichtigkeit fand ein jähes Ende. Langsam öffnete ich die Augen, versuchte zu realisieren, wo ich mich befand. Mit Verwunderung erkannte ich, dass ich noch immer in dem fremden Haus lag. Der Sturm hatte sich gelegt, Sonne tauchte den Raum in helles Licht. Erwartungsvoll stand mein Hund vor mir; stupste mich mit seiner Schnauze immer wieder an.

Auf der Fensterbank saß ein Rabe. Das schwarze Gefieder glänzte und die weißen Flecken auf seinem Gefieder leuchteten hell. Mein Herz begann aufgeregt zu pochen. Der Vogel und ich sahen uns wissend an, dann flog er mit einem lauten Ruf davon.

chrilie

Autor: Christa Lieb

 

2 Kommentare

  1. Schaurig, mystisch, schön…ich war ganz aufgeregt beim Lesen…

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