Das neue Jahr zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht. Es schaut argwöhnisch auf das Spektakel. Ob es ahnt, mit was es von der ersten Minute an konfrontiert ist?
Während bei uns Sinn entleert laut krachend Millionen Euro in die Nacht geschossen werden, versetzen nur einige hundert Kilometer entfernt Böller ganz anderer Art die Menschen in Angst und Schrecken. Und beim neuen Jahr wächst schon in den ersten Minuten seiner Existenz die Erkenntnis, dass es der Welt nichts Neues zu bieten hat. Zu schwerwiegend sind die Altlasten, die man ihm hinterlassen hat.
Armes junges Jahr! All die guten Wünsche, Vorsätze, Hoffnungen – sie werden sich wohl nicht erfüllen lassen. Dir sei verziehen; schließlich liegt es nicht in deiner Macht. Du bietest ein unbeschriebenes Blatt an. Es könnte mit all dem Schönen, dass das Leben bereithält, beschrieben werden. Doch leider wird den meisten erst beim nächsten Jahreswechsel bewusst werden, welche Chancen leichtfertig vertan wurden. Und dann setzt – wie jedes Mal – das große Bedauern und Wehklagen an; es werden guten Vorsätze gefasst, die sich wieder nicht erfüllen werden. Weil der Mensch allzu oft schwach ist, den bequemen Weg sucht, nicht bereit ist, die Wahrheit zu erkennen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Armes junges Jahr! Du kannst nichts dafür.
Christa Lieb ©