Versuchung

Verdammt, schon Mitte Mai und sie hatte noch jede Sünde des vergangenen Winters auf den Hüften. Missmutig lief sie durch die Straßen der Stadt. Gertenschlanke Frauen, die Wayfarer lässig übers Pony geschoben, zeigten unbekümmert, was sie zu bieten hatten. Man konnte vermuten, eine Model-Schule verbringe hier ihren freien Tag. Sie schien die Einzige zu sein, bei der es überall unangenehm zwickte.

Hmmm, jetzt in der Sonne sitzen und ohne schlechtes Gewissen ein Eis schlecken.

Oh, welch ein Zufall. Da war es, das nette Eiscafé mit dem noch netteren Italiener. Zögernd ging sie näher, kämpfte gegen ihr Verlangen. Sie traf eine Abmachung mit sich selbst: Wenn kein Platz frei ist, gehe ich weiter und verzichte!

Enttäuscht stellte sie fest, dass heute offensichtlich viele Leute Lust auf Eis hatten. Als sie sich schweren Herzens zum Gehen entschloss, kam ihr der nette Italiener in die Quere. “Scusi, bella Signora, isch abe noch eine Platze für Sie.” Seine Augen schienen sie förmlich zu verschlingen.

Plötzlich fühlte sie sich federleicht. Zu viele Pfunde? Ach was. Basta! Sie folgte ihm und bestellte ihr Lieblingseis. Wenig später ließ sie den zarten Schmelz voller Genuss über ihre Zunge gleiten, schloss die Augen und vergaß voller Entzücken das Kalorienzählen, die überflüssigen Pfunde und die Zeit …

chrilie